Nach dem kleinen, unerwarteten Abenteuer in Boise ging es also weiter, immer noch halb verkatert, knapp 8 Stunden in Richtung Portland. Die Fahrt war nicht sonderlich aufregend…die Landschaft veränderte sich vom platten, langweiligen und flachen Idaho zum schöneren und bewaldeten Oregon. Was hatte ich nicht alles schon gehört über Portland…wie ein kleines San Francisco, total schön, gechillt, liberal, usw…das waren zumindest die Geschichten noch vor ein paar Jahren. Die neusten Reaktionen waren allerdings etwas anders: Immer wenn ich interessierten Menschen von meine Reiseroute berichtete, bekam ich besorgte Blicke und es hieß: Oh, da musst du aufpassen…viele Obdachlose, Kriminalität, und anscheinend ist nicht mehr so viel über von dem gechillten Vibe von früher. Naja, dachte ich mir, ich werde mir schon mein eigenes Bild machen…und was soll ich sagen: Es war „speziell“ 😬.
Deutschland ist nicht unbedingt als Trendsetter-Land bekannt. Häufig habe ich schon irgendwas im Ausland gesehen was dann erst einige Jahre später bei uns „in Mode“ war…Karotten-Hosen, Flanking, Birkenstock, etc. Gerne haben sich die Deutschen ja auch an Amerika orientiert wenn es um den generellen Lifestyle ging…Filme, Musik, Ernähung, Tech, Trends…da war ein Besuch in USA immer ein kleiner „Blick in die Zukunft“.
Ich hoffe inständig, dass das nicht mehr zutrifft, und falls doch, dass Portland nicht das Maß aller Dinge ist. Noch nie habe ich so eine diffuse, und kaputte Gesellschaft gesehen…das war wirklich beängstigend.
Was wirklich auffällig war: Es gab erschreckend viele Homeless-People. Klar kannte ich das auch schon aus anderen Städten und aus meiner Zeit in SF, aber das hier war nochmal ne andere Hausnummer…Traurig genug dass das amerikanische System so viele Menschen durchs Raster fallen lässt. An jeder Ecke sah man Menschen mit ihrem Hab und Gut in Einkaufswägen, oder irgendwelche Zelte mitten in der Stadt camieren. Ein Großteil von ihnen sah so kaputt und zugedrogt aus, das war echt gruselig anzusehen…da wurden am laufenden Band Selbstgespräche geführt, rumgeschrien, geschlafen, gebettelt, onaniert…ich wusste nicht ob ich Mitgefühl oder Angst haben sollte…irgendwie war es eine Mischung aus beidem…
Als wäre das nicht schon „Erfahrung“ genug, gab es auf der anderen Seite die – ich nenne sie mal berufstätige – Bevölkerung, die allerdings auch total „drüber“ war (ich vermeide hier bewusst das Wort „normal“). Ich habe mich bisher immer für einen toleranten Menschen gehalten. Ganz nach dem Motto „Jeder Jeck ist anders“ ist es mir wirklich völlig latte wie die Leute aussehen, welches Geschlecht sie meinen zu haben oder welches andere (oder gleiche) Geschlecht sie lieben. Soll jeder machen was er/sie/es für richtig hält, so lange man nicht aufdringlich ist oder andere (inkl. mich) damit belästigt.
Aber das was ich da gesehen habe…das war eine Mischung aus Walking Dead und Olivia Jones. Überall (und ich meine wirklich überall) gab es Menschen die alles zur Schau gestellt haben – und am liebsten sich selbst. Und ich rede hier nicht von zu vielen Tattoos oder vom „Socken in Sandalen“-Trend 😂. Männer in Kleidern, ok. Mit Lippenstift, von mir aus…Mit Lippenstift und Schnurres…ernsthaft? und so ging es immer weiter: Nagellack, Baseballschläger, mit High-Heels, auf nem Skateboard, Dock-Martens und Barfuß, Frisuren des Todes, Regenbogen-Haarfarben, Schminke wo auch immer, Frauen ohne und Männer mit BH’s, Körperbehaarung wo man sie nicht sehen möchte, Bauchfrei mit 100+ Kilo, und allen voran ungepflegte, ungewaschene aber natürlich „hey total liberale und gechillte“ Leute. Vielleicht bin ich zu alt oder zu spießig, aber zeitweise hab ich mich echt gefragt ob ich in der Stadt eigentlich der einzige Hetero, nicht „Diverse“ Mann bin. Wie gesagt, „Every Jack is different“ 😎, dennoch hoffe ich nicht dass das ein „Blick in die Zukunft“ war, und falls doch, wird es wahrscheinlich noch lange dauern bis das zur „Weiße-Hemden-weiße-Sneaker“-Fraktion in Ingolstadt durchdringt 😂.
Abgesehen von der Bevölkerung die mich echt hat staunen und erzittern lassen, hat die City jetzt irgendiwe nicht so viel hergegeben. Ja okey, es gab ein paar „nette Sträßchen“ mit dem obligatorischen „Öko-Bio-Homemade-Artesanal-Organic-Second-Hand-aber-bitte-laktosefrei“-Einzelhandel, in dem Frisör, Kaffee und Plattenladen vereint ist und natürlich selbstgemachte Seife verkauft wird, aber darüber kann ich in 2023 jetzt auch nur noch müde lächeln…
Immerhin muss man nicht auf einer 8-spurigen Straße spatzieren gehen, und das ist für ne Stadt in den USA ja schon n Highlight 😂. Nach zwei Tagen hatte ich auf jeden Fall genug gesehen, aber da ich den Roadtrip fast komplett vorgebucht hatte, „musste“ ich noch weitere Tage in der Stadt verbringen…kein Problem, die/der/das diverse Fokuhila-Latzhosen-Bedienung hat mich gut mit 9 $ Kaffee versorgt (hey, natürlich fully organic), und ich hab einfach mal eine kleine digitale Creative-Session eingelegt…schien mir sehr passend da in der Location 😂.
Nach 5 Tagen ging es dann weiter nach Seattle. Die Strecke dorthin war nice, die Stadt schon um einiges Großstädtiger. Die super bekannte Space-Needle musste ich aber wirklich suchen, da das Denkmal weder so hoch, noch so präsent ist wie ursprünglich angenommen…anyway, am zweiten Tag hab ich’s dann gefunden, und für geschmeidige 42 $ konnte ich dann auch die Aussicht genießen…(zum Vergleich: Die Aussichtsplattform auf dem Kölner Dom kostet 6€ und ist fast genauso hoch 😂). Ansonsten gab es noch wirklich viele architektonisch beeindruckende Gebäude und ein paar Sightseeing-Spots wie die die „Gum Wall“ oder die berühmten Markthallen…
Was wirklich schade ist: Portland sowie Seattle haben bestimmt ein ganz cooles Nightlife und ne nette Bar-Kultur, aber da ich die ganze Zeit alleine unterwegs war habe ich das leider nicht in Erfahrung bringen können. In den Hostels hatte ich diesmal auch weniger Glück und keinen Kontakt geknüpft…naja, beide Städte waren eine Erfahrung, auch wenn ich es mir anders vorgestellt hatte 😂. Nach ein paar Tagen Seattle war es dann aber so weit…kurz über die Grenze, zurück nach Vancouver und dann Monique vom Flughafen abholen um in unseren gemeinsamen Urlaub zu starten 🥳.