Na dann „Guten Morgen“ denk ich mir, wobei sich „gut“ erst mal herausstellen muss, und Morgen ist auch ziemlich übertrieben…
Ich wache auf, sofern man im Nachtbus von Schlaf reden kann. Keine Frage, der Komfort ist wirklich gut und die „Schlafsitze“ sind auch echt ne Erfahrung wert…allerdings gibt es leider „irgendwas“, was einen von einer geruhsamen Nacht abhält. Ganz oben auf der Liste stehen Menschen die gerne alle anderen im Bus an ihrem Telefonat, oder wahlweise an ihrer spanischen Soap-Opera teilhaben lassen möchten; denn Kopfhörer scheinen hier wenig Anklang zu finden, dafür umso mehr der Lautsprecher des Handys.
Ansonsten gibt es gerne noch tropfende Klimaanlagen, vibrierende Metallteile oder diverse Shopping-Einlagen, in denen verkaufstüchtige Frauen mit bunten Tüchern in den Bus steigen und lautstark ihr Produktportfolio für kleines Geld anbieten. Obst ist da noch das harmloseste, gerne auch selbstgemachtes Eis oder Gebäck, nicht definierbare Getränke in Plastiktüten oder Fleisch mit Beilage, was live vor den Augen (mit einem Beil) zerteilt und portioniert wird…na dann gute Nacht ?.
Immerhin, wir sind am Zielort angekommen, ohne große Zwischenfälle und sogar mit unserem Gepäck. Was will man mehr. Nachtbus, der hat wohl seinen Namen weil man nicht durch die Nacht fährt und morgens ankommt, sondern weil man gerne auch mitten in der Nacht ankommt ?.
Der erste Eindruck des Zielortes ist meist ähnlich…Alles etwas verschlafen und schmuddelig, aber was kann man von einer Bushof-Gegend um 5 Uhr morgens schon erwarten. Weiter gehts in die Empfangshalle, und die macht ihrem Namen alle Ehre.
Mindestens 10 Männer buhlen mit ihren lautstarken „Taxi Taxi“-Rufen um unsere Gunst…Müde entscheiden wir uns für den „seriösesten“, aber unter den Blinden ist der Einäugige ja bekanntlich König ?. Weiter gehts zu seinem Arbeitsgerät…meist ein schäbiger, verbastelter Kleinwagen Marke „Made in Asia“. Gerne mit blau/rot blinkenden Frontlichtern und ohne Sicherheitsgurte…Egal, wir sind froh drin zu sitzen und unserem Ziel, dem Hostel, ein Stück näher zu kommen.
Und los geht die wilde Fahrt…Verkehrsregeln sind hier eher Auslegungssache, aber wichtig scheinen hier zwei Grundregeln zu sein:
1.) Große Kreuzungen sind immer zum drauffahren da, unabhängig von der Ampelphase oder des entwickelnden Rückstaus. Seltsam, und dann wundert man sich dass nichts vorwärts und rückwärts geht…aber dafür haben die Automobilhersteller ja dankenswerter Weise die Hupe entwickelt, denn damit geht es ja bekanntlich schneller ?.
2.) Kleine Kreuzungen werden sowieso überfahren…Vorfahrt oder nicht, das hab ich hier noch nicht rausgefunden…aber zum Glück gibt es auch hier die Hupe, denn damit wird die Überfahrt an der jeweiligen Kreuzung angekündigt. Selber Schuld wenn man da noch Vorfahrtsregeln braucht ?.
Nach 20-30 Minuten Taxifahrt für 2-3 Euro im Hostel angekommen, müssen wir meist noch ein paar Stunden bis zum Einchecken überbrücken, bis wir dann die nächste Überraschung erleben dürfen…und das kann wirklich alles sein:
Super nette, kleine Oasen mit liebevoller Einrichtung und freundlichen Inhabern, bis hin zu „dem letzten Loch“…dazwischen ist die Spanne recht vielseitig ?. Zu kurze Betten, kratzige Wolldecken-Berge als Bettdecke, kalte Duschen, Röhrenfernseher aus dem letzten Jahrtausend, Toiletten auf Kniehöhe, dafür Steckdosen unter der Decke…und wirklich überall: Türen und Fenster die – wenn überhaupt – nur als Sichtschutz und nicht als Schallschutz dienen. Das ist wirklich faszinierend: Beim Bau wird wohl ein Loch in der Wand gelassen…und das wird mit einem Stück Holz befüllt…fertig ist die Tür oder Fenster, egal wie groß die Lücke dazwischen ist. Dementsprechend hat man es auch mit der „Privatsphäre“, da man wirklich alles hört was abseits des Zimmers so abgeht (und wahrscheinlich umgekehrt).
Nachdem wir uns mit den – teils amüsanten – Gepflogenheiten der neuen Bleibe vertraut gemacht haben, geht es zum „Plaza de Armas“, dem Marktplatz in Stadtmitte an dem sich das (touristische) Leben abspielt. Auch hier kann man eigentlich nur staunend das „Leben der Anderen“ beobachten. Egal welcher Wochentag und welche Uhrzeit, der Platz ist meist recht gut gefüllt…Bettler die nach ein paar Cents fragen, Verkäufer:innen die einem (mal wieder) dubiose Getränke aus Eimern verkaufen wollen, Schuhputzer, Frauen in den landestypischen Woll-Schicht-Gewändern und Hüten, Schülergruppen in Uniformen und vielleicht auch mal der ein oder andere Tourist…generell sieht man davon allerdings eher wenig.
Ein ToDo in jeder neuen Stadt ist dann die Suche nach einer Tour zu nächsten Sehenswürdigkeit. Touranbieter gibt es grundsätzlich mehr als genug, und nach dem dritten „Infogespräch“, was meist wilde Kuli-Kreise auf irgendwelchen Infobroschüren hinterlässt, stellen wir wieder fest: Es ist wirklich alles der selbe Schmarn. Die gleichen Abfahrtszeiten, die selbe Route, die selben Stops an den selben „Highlights“. Einzig im Preis unterscheiden sie sich geringfügig, je nach Sympatie, Verzweiflung oder Verhandlungsgeschick.
Nach der mittlerweile 10.ten Tour wissen wir auch – es sind nicht zufällig die selben Infos, denn am Ende werden die Touris alle in den selben Bus gesetzt und fahren alle gemeinsam, unabhängig davon wo man gebucht hat ?. Hört sich ganz lustig an, ist aber leider echt traurig. Ich weiß nicht wer den Anbietern gesagt hat dass die Touris gerne viel Zeit mit Frühstücken, Pinkelpausen, Snacks und weiteren „sinnlosen“ Zeitschindereien verbringen anstatt einfach „nur“ straight zur Sehenswürdigkeit zu fahren. Ein wenig Individualismus würde den Touren auch wirklich gut tun…so hätte man zumindest ansatzweise das Gefühl von ein wenig Auswahl…
Na gut, „hilft ja nix“ wie man in Bayern sagt, wieder beim „seriösesten“ Anbieter die Tour gebucht und weiter im Text.
Nach ein paar weiteren Stunden „Stadt erkunden“ gehts dann auf die Suche nach einem geeigneten Abendessen. Nach mittlerweile ca. 90 Restaurantbesuchen in Südamerika kann ich nur sagen…WOW, der Wahnsinn, und damit mein ich nicht das Essen ?.
Jeder der ein wenig Spaß an „Situationskomik“ hat, oder einfach den Moment gerne aus einer gewissen Vogelperspektive beobachtet und sich dabei selbst nicht so ernst nimmt, hätte seine wahre Freude an der Vielzahl der „Was-ist-hier-eigentlich-los-Momente“ ?.
Es ist mir leider unmöglich das alles wiederzugeben, aber Restaurants scheinen hier auch eher als „Hobby“ betrieben zu werden…gut, mit Speisekarten und deren Aufmachungen fang’ ich gar nicht erst an, ich glaub da bin ich wahrscheinlich eher „speziell“. Aber abgesehen davon…Stühle, Tische, Lampen, Deko, Speiseauswahl, Bedienung, Bezahlvorgang, usw…einfach „alles“ wirkt hier wie eine Überraschung für die Lokalität. Essen gemeinsam servieren? Nein, leider nicht. Salzstreuer? Oh, haben wir nicht. Salatdressing? Wo denkst du hin. Eine Inneneinrichtung bei der nichts zueinander passt? Yes! Lieber aufs Handy als nach den Gästen schauen? Aber sicher! Ein Tablett nutzen anstatt alles einzeln zu tragen? Fehlanzeige. WLAN-Passwort? Wird mit Bleistift auf ein abgerissenes Stück Papier geschrieben. Bezahlen mit Karte? Dauert mit 3 Personen gerne auch 10 Minuten….usw. usw. Die Liste ist wirklich unendlich und fast schon ein tägliches Highlight in den Südamerika-Erlebnissen. Dabei sind es wirklich keine Einzelerlebnisse, sondern ziehen sich von Tag zu Tag durch die gesamte Reise. Wir haben mittlerweile schon das geflügelte Wort „Ahh, erster Tag“ zwischen uns eingeführt, da es jedes Mal aufs neue den Eindruck eines „ersten Arbeitstages“ hat.
So amüsant es sich anhört (und auch wirklich ist), so kommt da doch das deutsche Unverständnis in mir hoch. Wie kann man so leben? Wie kann man so einen Laden führen? Und ist DAS wirklich das Beste was du machen kannst wenn du daran denkst ein Restaurant aufzumachen? Ist das hier der eigene Anspruch der Menschen an ihre Tätigkeit? Kein Konzept, keine Prozesse, keine Professionalität, keinen Stil, keine Liebe zum Detail…dabei wäre es wirklich so leicht sich positiv gegenüber der Masse abzuheben. Verrückte Welt, verstehe ich nicht.
Anyway, nach einem – mehr oder weniger – erfolgreichen Abendessen ist der lange Tag auch schnell vorüber und die nächsten „Besonderheiten“ lassen bestimmt nicht lange auf sich warten ?.
Dieser Einblick in einen „ganz normalen Tag“ ist natürlich etwas überspitzt und auch sehr verdichtet, aber alles hat sich so ereignet und beschäftigt und umgibt uns auch jeden Tag in der ein oder anderen Art und Weise.
Die bekannten Touri-Attraktionen wie Uyuni, Atacama, Machu Picchu & Co. sind natürlich beeindruckend und von Interesse (vor allem für die daheim gebliebenen), aber das „tägliche Leben“ ist mindestens genauso spannend, interessant und dabei noch viel unterhaltsamer.